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Baily und der Dinoknochen

In den Abhang unter der Terrasse ist eine Mäusefamilie eingezogen. Der Mäusevater ist heute sehr aufgeregt. Der Winter steht vor der Tür und die Vorräte sind viel zu klein für einen langen kalten Winter. Seine nichtsnutzige Bande hatte den ganzen Sommer über nichts Besseres vor, als mit den Katzen Kriegen zu spielen und sich dicke Speckbäuche anzufressen.

"So wollt ihr durch den Winter kommen?" wetterte er, "In höchstens drei Wochen werden eure Bäuche geschrumpft sein wie alte Speckschwarten und vor Hunger knurren. Wie sollen wir jetzt noch genügend Wintervorrat sammeln, he?"

Während der Mäusevater sich unter der Terrasse verzweifelt die Barthaare rauft, strebt Baily eilig mit seinen kurzen Beinchen dem Garten entgegen. Dackelmischling Baily ist ausgesprochen guter Laune. Wenn der Grund dafür nicht der große Knochen ist, den er in der erhobenen Schnauze mit sich schleppt, heiße ich Oskar. Wüsste man nicht, dass Saurier längst ausgestorben sind, könnte es glatt ein Dinoknochen sein. Wer weiß, wem er den abgejagt hat? Auf jeden Fall hat Baily es verdammt eilig, seine Beute in Sicherheit zu bringen. Außerdem weiß jeder Hund, wie zäh frische Knochen sind. Richtige Knochen müssen lagern und stinkig und mürbe werden. Wohin also so lange mit dem Ungetüm? Am besten unter die Hecke. Tief schiebt Baily den Knochen unter die Zweige, noch ein Stückchen und noch ein Stückchen, bis der nicht mehr zu sehen ist. Erledigt! Zufrieden dreht Baily der Hecke den Rücken und macht sich wieder auf den Weg. Wer weiß, vielleicht findet er noch einen zweiten Knochen?

Als Baily den Gehweg auf der anderen Seite der Hecke entlangläuft, bleibt er plötzlich wie angewurzelt stehen. Mitten auf dem Weg und für jeden fremden Köter sichtbar liegt sein eben erst schnüffelsicher versteckter Knochen. Da hat er ihn doch tatsächlich so weit durch die Hecke geschoben, dass er auf der anderen Seite wieder herausgekullert ist. Zum Glück hat ihn noch niemand entdeckt.

Hastig schnappt Baily seinen Schatz und schleppt ihn zurück in den Garten. Wohin damit? Frauchens Wäsche flattert auf der Leine. Bailys Blick fällt auf ein paar Jeans. Da wäre sein Knochen todsicher aufgehoben, fährt es ihm durch den Kopf. Gedacht, getan. Er springt auf den umgedrehten Wäschekorb, macht sich lang und lässt den Knochen in die Hose gleiten. Dann legt er sich direkt darunter und beobachtet zufrieden, wie sein Knochen im Wind schaukelt. Plumps, poltert der Knochen auf einmal aus dem Hosenbein herunter. Direkt auf seine Hundenase. Baily springt auf und jault. Das mit den Jeans war wohl nichts. Es muss noch ein besseres Versteck geben.

Unter Herrchens Auto zum Beispiel. Da hat keiner etwas zu suchen. Also hinunter damit und dann ins Haus. Es ist Abendbrotzeit.

Am nächsten Morgen hat Baily es eilig, nach seinem Knochen zu sehen. Aber, oh Schreck! Da steht kein Auto mehr. Herrchen ist längst zur Arbeit gefahren, und der Dinoknochen liegt sichtbar für jederhund mitten in der Auffahrt. Na, das hätte ja bös' enden können. Erleichtert schnappt Baily seinen Knochen. Wenn er nur einen Ort wüsste, wo garantiert kein Hund danach sucht ...

Schließlich entdeckt Baily eine kleine Kuhle neben dem Rosenbeet. Jetzt muss er etwas tun. Umständlich scharrt er die Kuhle tiefer aus und vergräbt seinen Schatz wie ein alter Seeräuber. Zufrieden hebt er kurz das Bein, damit jederhund weiß, hier ist Privatbesitz. Danach zockelt er ins Haus und hält seinen verdienten Mittagsschlaf. Dass es beginnt, draußen in Strömen zu regnen, merkt er gar nicht.

Als Baily erwacht, ist die Kuhle beim Rosenbeet längst zu einer riesigen Pfütze geworden und mittendrin im Schlamm glänzt etwas, das wie sein Dinoknochen aussieht. Heldenhaft nimmt Baily den Kampf mit der Schlammpfütze auf. Von da an sieht er einem Erdferkel viel ähnlicher als einem Dackel, und natürlich versteht Frauchen mal wieder gar nichts. Statt ihren tapferen Hund zu loben, steckt sie ihn sofort in die Badewanne. Baily ist doch wasserscheu! Aber darauf nimmt Frauchen leider keine Rücksicht. Den Knochen hat er übrigens in Herrchens Gummistiefel versteckt. Wohin hätte er ihn in der Eile auch schaffen sollen?

Als Herrchen nach Hause kommt, will er gleich im Garten aufräumen. Er flucht, als er den Knochen aus seinem Stiefel zieht und befördert ihn mit Schwung in die Büsche. Wütend jaulend wetzt Baily hinterher. Sobald Herrchen nicht aufpasst, schmuggelt er den Knochen wieder zurück ins Haus und lässt ihn nach ausgiebiger Suche unter die Küchenheizung kullern. Endlich hat Baily Ruhe! Tatsächlich fällt Herrchen nichts auf. Erst nach einer Woche beschwert er sich bei Frauchen über einen komischen Geruch in der Küche.

"Eklig", schüttelt er sich und öffnet den Kühlschrank. "Liegt hier irgendwo ein vergammelter Hering herum oder ein uralter Stinkekäse?"

Baily findet, dass Herrchen  keine Ahnung hat. Mal abgesehen davon, dass der Knochen noch lange nicht reif ist, kitzelt ihm, Baily, der Duft sehr verführerisch in der Nase.
Als Herrchen schließlich hinter der Heizung fündig wird, zieht Baily den Schwanz ein.
"Schon wieder dieser verdammte Knochen", schimpft Herrchen, packt ihn mit spitzen Fingern und befördert beide, Baily samt Knochen, unsanft in den Garten. "Wagt euch bloß nicht wieder hinein, du und dein gammeliger Knochen!"
Da sitzt der arme Baily nun mit seiner Beute und weiß nicht, wo er sie lagern soll. Nach langem Hin und Her nimmt er Kurs auf die Sandkiste und verbuddelt den Knochen in der hintersten Ecke. Als er wenig später noch einmal nach dem Rechten sehen will, fährt ihm das kalte Grausen in die Dackelbeine. Ausgerechnet heute müssen Dana und Mika in der Sandkiste spielen. So gern Baily sie hat, was er jetzt erblickt, geht zu weit! Die beiden haben eine Riesenburg gebaut, und obendrauf thront sein Knochen.
Er kläfft wie besessen und wetzt vor der Sandkiste auf und ab. Zum Glück haben die Kinder ein Einsehen und rücken seinen Knochen freiwillig heraus. Baily wäre in diesem Moment zu allem fähig gewesen. Er kläfft noch ein paarmal beleidigt, um sich dann hoch erhobenen Schwanzes samt Knochen im Maul zu verziehen. Aber was nun?

Ratlos durchstöbert Baily die Sträucher an der Terrasse, und hier endlich entdeckt er das Versteck! Ein Loch im Abhang, groß genug, dass er nicht einmal mehr graben muss. Keine Kinder, kein Regen und kein fremder Hund können seinem Knochen hier etwas anhaben. Er zwängt ihn ins Loch, bis er nicht mehr zu sehen ist, dreht sich um und scharrt übermütig einige Ladungen Erde hinterher. Alles paletti!

Denkt Baily!

Zur gleichen Zeit reibt sich Vater Maus erstaunt die Augen.

"Alles herkommen", fiepst er begeistert, "ein Wunder ist geschehen! Unser Wintervorrat ist von ganz allein zu uns gekommen!"

Mama Maus verdreht verzückt die Augen und saugt den verführerischen Duft ein, der auf einmal durch die Mäusegänge streicht. "Wenn ich nicht genau wüsste, dass sie ausgestorben sind, ich könnte schwören, das sei ein Dinoknochen! Wird das ein Winterschmaus."

Ute Keilaus:  Gesundlach-Geschichten  (G.Bitter Verlag)