aamamamamamaIhr Titel
aber auch Drucke, Bilder, Gemälde usw.

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Nico und die Schwarzen Ritter

Nico ist gestern umgezogen. In der neuen Wohnung geht alles drunter und drüber. Nichts wie raus hier! Sie springt in ihre Jeans und in das T-Shirt mit dem schwarzen Motorradfahrer und dem gelben Totenkopf. Nico liebt dieses Hemd. Nico liebt überhaupt alle Sachen, die von ihrem großen Bruder stammen. Leider sind die meisten kaputt, wenn sie ihm nicht mehr passen.

Am Fenster hängen noch nicht einmal Gardinen. Nico beugt sich hinaus. Unten rennen Kinder hinter einem Ball her. Das  Spiel kennt sie :  Völkerball. Sie fischt ihre Turnschuhe aus einem der Umzugskartons, die überall in der Wohnung herumstehen. Bis der Fahrstuhl kommt, hat sie die Knoten auf qedröselt, Ein unausgeschlafener Mann mit einer Plastiktüte und einem Pudel a der Leine verlässt den Fahrstuhl. Er blickt unfreundlich auf Nico herab.
<Kinder unter 14 dürfen den Fahrstuhl nicht benutzen>, schnaubt er und stellt sich zwischen den Fahrstuhl und sie.   <Bin ich gestern gerade geworden>, behauptet Nico und schiebt sich an ihm und seiner Plastiktüte vorbei.

Der Mann starrt sie überrascht an. Natürlich glaubt er das nicht, aber er ist erst einmal überrumpelt. Ehe er etwas unternehmen kann, schließen sich die Türen und der Fahrstuhl saust mit Nico abwärts. Bis zum Erdgeschoss hat sie die Füße in die Schuhe gezwängt und fährt sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. Nico ist gekämmt. Sie versenkt die Hände in die Hosentaschen, lehnt sich an die Hauswand und beobachtet die Kinder. Es sind lauter Mädchen. Aber Nico ist nicht die einzige Zuschauerin.

Am Haus gegenüber haben sich ein paar Jungs versammelt und lachen sich tot, wenn eine mal nicht fängt oder vorbei wirft. Nico muss gar nicht lange warten, bis der Ball zu ihr herüberrollt. Das Mädchen, das ihn hätte fangen sollen, kommt auf sie zugelaufen. Nico streckt ihr den Ball entgegen. Natürlich packt sie die Gelegenheit gleich beim Schopf und fragt, ob sie mitspielen darf.

Das Mädchen mustert sie neugierig. <Bist du hier auf Besuch?>
 <Ich wohne jetzt hier>, erklärt Nico.
<He, kommt mal her, die ist neu hier!> ruft sie den anderen zu.

Nico erzählt, dass sie gestern Abend eingezogen sind.
<Kannst du Völkerball spielen?>
<Klar>, sagt Nico, und schon ist sie mittendrin. Auch die Jungen beobachten Nico. Sie sind stiller geworden. Nico kann gut fangen und werfen. Fast jeder Wurf ist ein Treffer. Niemand lacht sie aus.

Als Nico Papa gegen Mittag mit einer großen Tüte von der Frittenbude ins Haus eilen sieht, stürmt sie schnell hinterher. Wenn es nach Nico ginge, könnten die Töpfe und Pfannen ruhig noch ein paar Tage in den Umzugskartons versteckt bleiben. Nico liebt Pommes mit Currywurst. Nach dem Essen zieht es sie gleich wieder hinunter. Der Fahrstuhl beschwert sich nicht, wenn Nico ihn benutzt, und die blöde Plastiktüte mit dem Pudel ist nirgends zu sehen. Aber auch von ihren neuen Freundinnen ist keine mehr da. Bloß drüben auf der anderen Seite lungern  noch die Jungen herum und versuchen sich im Kicken. Nico setzt sich auf die Eingangsstufen und wartet. Irgendwann haben die Jungs sie entdeckt. Sie stecken die Köpfe zusammen und schlendern langsam auf Nico zu.

<Hi>, sagt der größte von Ihnen und mustert Nico von oben bis unten.
<Hi>, antwortet Nico und überlegt, was die wohl vorhaben.
<Bist‘ neu hier?> fragt er und schiebt seinen Kaugummi von einer Backe in die andere. Nico nickt.
 <Wie heißt du?>
<Nico>, sagt Nico. Dass das die Abkürzung von Nicole ist, muss sie denen ja nicht gerade auf die Nase binden. <Und du?> - Der Junge heißt Anton.
<Und du spielst mit Mädchen?> Stellt er verächtlich fest.

<Ja und?> entgegnet Nico. Dann fällt bei ihr der Groschen und sie muss grinsen. Schon wieder so ein paar Deppen, die sie für einen Jungen halten. Das passiert ihr des öfteren mit den Klamotten von ihrem großen Bruder.

<Du bist nicht schlecht mit dem Ball, spielst du Fußball?>
<Handball>, antwortet Nico, <aber jetzt bin ich aus der Mannschaft raus, weil wir weggezogen sind>.
Die Augen des Großen leuchten auf.  <Echt? Wir spielen auch Handball, Torsten, Sascha, Felix und ich. In unserer Mannschaft könnten wir noch einen guten Rechtsaußen brauchen. Hast du Lust, dann sag ich's dem Trainer>.
<Meinetwegen!>, nickt Nico und beißt sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. <Seid ihr denn gut?>
<Gut? Wir sind DIE Champs überhaupt!> tönt Anton und blickt Nico noch einmal prüfend an. <Warte mal.>
Und dann stecken die fünf erneut die Köpfe zusammen und tuscheln. Nico ist gespannt, was sie vorhaben.
<Wartest du hier etwa auf die Mädchen?> fragt Anton. Man hört, dass er nicht viel von Mädchen hält.
<Warum nicht?> fragt Nico dagegen . <Ich finde sie nett.>

<Mädchen sind doof>, behauptet Anton abfällig. <Wenn du willst, kannst du zu uns kommen. Wir sind eine geheime Bande. Da gehören nur Jungs zu. Aber du darfst kein Sterbenswörtchen davon verraten, sonst ….> er zeigt drohend seine Faust. <Wenn du willst, kannst du bei uns Mitglied werden.>

Das interessiert Nico brennend. <Was ist das für eine Bande?>
Anton beugt sich vor und flüstert: <Wir sind Die Schwarzen Ritter.>
<Und was machen die so?> will Nico wissen.

Anton schaut sich um, ob auch ja keiner zuhören kann. <Jeder Schwarze Ritter muss mindestens einmal am Tag lügen, und muss den anderen dann davon erzählen. Kannst du lügen??> -
<Logo>, sagt Nico. - Wenn's weiter nichts ist!

<Gut>, nickt Anton zufrieden. < Du musst aber eine Aufnahmeprüfung bestehen. Los, komm mit zu unserem Geheimtreff. Du musst eine Lüge erfinden, die ganz schlimm und gemein ist. Das muss jeder, sonst wird er nicht in unsere Geheimbande aufgenommen.>
<Und was ist schlimm und gemein>,  will Nico wissen.

<Mann werd' nicht schwach>, mischt Sascha sich ein, <irgendeine geile Lüge. Wenn du nicht einmal weißt, was das ist, kannst du dich gleich verpissen und mit den Weibern spielen.>

<Okay, okay<, sagt Nico schnell. <Reg dich ab. Worauf warten wir?>  Sie folgt den Jungen bis dorthin, wo die Häuser aufhören. Torsten bindet ihr nun ein Tuch um die Augen.
<Damit du unser Geheimversteck nicht wiederfindest, falls du die Prüfung nicht bestehst.>

Nico gelingt es, unter dem Tuch herauszublinzeln, sonst wäre sie sicher ständig gestolpert. Der Weg ist sehr holprig. Als sie den Schal endlich abnehmen darf, befinden sie sich in einer ausgetrampelten Buschhöhle direkt am kleinen Bach. Dichte Zweige bilden das Dach und niemand kann von außen hineinsehen. Die Jungs hocken sich im Halbkreis um Nico herum und starren sie gespannt an.
<Die Schwarzen Ritter warten. Fang an.>

Nun muss Nico lügen, was das Zeug hält. Sie holt tief Luft. <Also: da wo ich herkomme, hatten wir einen Lehrer, der war so dünn wie ein Strohhalm. In einer Mathestunde haben wir unter dem Pult einen Schlauch in sein Hosenbein gesteckt und ans andere Ende eine Luftpumpe. Während er rechnete, haben wir ihn aufgepumpt. Er wurde immer dicker und dicker, bis erst die Hose platzte und dann sein Hemd. Zuletzt war er leicht wie ein Luftballon und flog durch das Fenster davon …>
Nicos Lügengeschichte war noch längst nicht zu Ende, aber sie kam nicht weiter. Allesamt  fingen an, sie auszupfeifen und auszubuhen.
<Hör bloß auf! Wenn du so ein Milchgesicht bist, kannst du gleich wieder abhauen. Schocken sollst du und keine Babymärchen erzählen.>
Nico erschrickt. Schocken? Na gut, wenn sie es denn so wollen, bitte! Nico kann auch anders.

<Also>, beginnt sie und schaut Anton angriffslustig an. Dem eingebildeten Affen wird sie es schon zeigen. <Als ich vorhin zum Essen hochging, habe ich im Treppenhaus deinen Vater gesehen. Der hat da in der Ecke gestanden und wild mit Torstens Oma herumgeknutscht. Deine Mutter habe ich auch gesehen. Die hat wütend ein Beil geholt und den beiden den Schädel gespalten. Aber anstatt tot umzufallen, haben beide Hälften einzeln weitergeknutscht. Wir mussten uns die Ohren zuhalten. Das schmatze so laut, dass sogar die Lampen von der Decke fielen. Und plötzlich landete eine Rakete im Treppenhaus, aus der stiegen lauter grüne Männchen mit dünnen Beinen und großen Ohren. Die sahen genauso aus wie ihr, nur ganz grün und OHNE Pickeln…. Alle hatten einen Reissverschluss auf dem Bauch. Den haben sie aufgezogen und sich die Gedärme rausgeholt. Damit haben sie Torstens Oma und Deinen Vater wieder zusammengeflickt. Das hat so schrecklich gestunken, dass der Hausmeister die Feuerwehr gerufen hat.>
Nico sieht die fünf Typen triumphierend an. Das war's wohl! Entweder sie verprügeln sie jetzt oder sie ist aufgenommen. Aber das war's wieder nicht. Felix tippt sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und Sascha schüttelt abfällig den Kopf und winkt ab.
<Mann, bist du langweilig! War das alles?> Die anderen lachen sie aus. Nico könnte heulen vor Wut. Da erzählt sie eine Lüge wie sie selbst ihr großer Bruder nicht besser erfinden könnte. Und diese Spacker behaupten, das sei gar nichts! Nico ist stinksauer, und das sollen sie ruhig wissen:

<Ihr Arschkekse!> brüllt sie wütend und ballt die Fäuste. <Was wisst ihr pickeligen Flaschen denn vom Lügen. Ihr macht euch doch schon in die Hosen, wenn ihr eure Mami mal anlügt, weil ihr die Hausaufgaben nicht gemacht habt. Eure Schei߬Bande interessiert mich einen Dreck. Schwarze Ritter! So ein beknackter Name! Ich lach mich tot! Und die paar runtergetretenen Blättchen und Zweige sollen ein Geheimversteck sein? Das finde ich mit verbundenen Augen wieder und morgen zeige ich es den Mädchen. Mädchen sind sowieso viel besser als Jungs. Ihr könnt mich alle mal. Und übrigens, damit ihr es wisst, ich BIN NÄMLICH EIN Mädchen!!!
Nico ist wütend wie eine gefangene Katze im Sack.
Die fünf hocken immer noch mit offenen Mündern auf den Blättern. Es ist totenstill. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden. Dann bricht ein Jubel aus.

<Geil!> brüllt Anton allen voran und schlägt Nico anerkennend auf die Schulter. <Das war supergeil, Mann! Echt Spitzel Du hast es geschafft. >

Nico wird von allen Seiten umringt. Alle klopfen ihr auf die Schulter und schütteln ihr die Hand. - <Das war die schärfste Lüge, die ich je gehört habe>, behauptet Felix. <Das war so echt, dass ich es fast geglaubt hätte.>
<Oberaffengeil! Jetzt bist du auch ein Schwarzer Ritter!>
                                              - - -

Beim Abendbrot fragt Papa seine Nico, ob sie denn schon neue Freunde gefunden habe.

<Och, ein paar ganz nette Mädchen ….. und die Schwarzen Ritter>, antwortet Nico so beiläufig wie möglich.
<Schwarze Ritter?> fragt Papa verblüfft.
<Ja,>, kichert Nico. <Und ich freue mich schon darauf wie die am Montag in der Schule ganz schön dämlich aus der Wäsche gucken, wenn sie mitkriegen, dass ich ein Mädchen bin.>

Ute Keil      (aus „Lügen haben lange Beine“ Elefanten Press - 
                    sowie „Lügen- und Flunkergeschichten“ Arena Verlag) -