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aber auch Drucke, Bilder, Gemälde usw.

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Herr Franzius kann zaubern


Die schwarze Hündin von nebenan hat Junge. Felix hätte zu gern einen davon, den kleinen schwarzen mit den weißen Pfötchen und dem weichen Fell.
"Nein", bestimmt Mama, "du bekommst keinen Hund. Ein Hund bellt, und beißen tut er auch."

Felix ist traurig. Eine Katze bekommt er nicht, weil sie alles zerkratzt; ein Meerschweinchen nicht, weil es stinkt; Fische nicht, weil ein Aquarium viel Arbeit macht; ein Kaninchen nicht, weil es nicht in die Wohnung gehört; einen Papagei nicht, weil er kreischt; Mäuse nicht, weil Mama Angst vor Mäusen hat und sogar keinen Wellensittich, weil er aus dem Fenster davon fliegen könnte.

Klar, dass er auch keine Giraffe haben darf, und ein Elefant kostet zu viel Futter. Dabei möchte Felix doch nur das Hündchen. Er wüsste sogar schon einen Namen:  Pico!

Enttäuscht steigt er die Treppen zum alten Herrn Franzius hinauf. Er ist Felix' Freund und ... er kann zaubern. Das ist wahr! Denn jedes Mal wenn Felix traurig ist, zaubert er ihn ganz schnell wieder fröhlich. Wenn das kein Zaubern ist!  - Heute ist Felix sehr traurig, er weint sogar.

"Aufhören!“, ruft Herr Franzius erschrocken. „Du verschwendest ja kostbare Tränen. So helfen sie nicht. Geh sofort wieder hinunter, nimm ein Blatt Papier und male darauf das schönste Tier, das du dir vorstellen kannst. Wenn es fertig ist, weinst du deine Tränen DArauf , genau 10 aus dem linken Auge und 10 aus dem rechten. Denn legst du es unter dein Kopfkissen und träumst von dem Tier. Das ist alles."
"Und warum?", fragt Felix neugierig.
"Abwarten", antwortet Herr Franzius geheimnisvoll.

Felix springt die Treppen tatsächlich fröhlicher wieder hinab, die er unendlich traurig hinaufgestiegen ist.
Am Abend ist das Bild fertig. Auf dem Papier prangt das schönste und bunteste Tier, das Felix je gesehen hat. Er nennt es Wambo.  Jetzt die Tränen:  Sie kommen von ganz allein, wenn er daran denkt, dass er das kleine Hündchen nicht haben darf. Sie rollen über das Bild, wie es Herr Franzius gesagt hat, 10 Tränen aus dem linken Auge, 10 aus dem rechten. Dann legt Felix es unter sein Kopf­kissen. Beim Einschlafen denkt er so fest an das Wambo, dass er tatsächlich von ihm träumt. Es ist ein schöner Traum.

Am Morgen wird Felix von einem lauten Schrei geweckt. Er ist sofort putzmunter. Als erstes schaut er unter das Kopfkissen. Das Papier ist weiß und leer, das Wambo darauf verschwunden. Mit einem Satz springt er aus dem Bett.

Am Küchenschrank lehnt Mama, leichenblass, und vor ihr das Wambo, genauso bunt wie auf seinem Bild, bloß viel größer und quickle­bendig. Mama zittert und klammert sich an den Schrank.

Felix geht zum Wambo und krault ihm den Hals. An den Kopf reicht er nicht heran, weil er ihm doch einen langen Giraffenhals gemalt hat. "Keine Angst Mama, es beißt nicht", versichert Felix.
Das Wambo bückt sich und schleckt Mama zur Bestätigung liebevoll über die Nase.

Mama kreischt schrecklich. Dabei ist es ganz wirklich ganz lieb ... und wunderschön.

Es hat einen Rüssel, mit dem kann es so laut tröten, dass die Bilder an den Wänden wackeln. - Außerdem zwei weiche Kaninchenoh­ren, einen runden Katzenbuckel und kunterbunte Papageienflügel, mit denen es wild flattert. Statt Beinen wachsen am Bauch zwei kräftige Haifischflossen, auf denen es durch die Küche schlabbert und eine feuchte Spur hinterlässt.
Gerade verzehrt es Papas Mor­genzeitung, denn seine Lieblingsspeise sind Papierschnipsel.

"Halt!", beschwert sich Papa, ich habe die Zeitung noch gar nicht gelesen."
 Aber das Wambo hat sie bereits verspeist.

"So geht das nicht", ruft Mama entsetzt. „Wir können dieses Tier nicht behalten."

Aber Felix schüttelt energisch den Kopf:  "Mein Wambo ist ganz lieb. Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben. Es bellt und krächzt nicht und kratzt auch nichts kaputt; und stinken tut es auch nicht. Durch das Fenster passt es nicht, also kann es nicht einmal davon fliegen. - Weil's bloß Papier frisst, müsst ihr nicht einmal Futter kaufen. Außerdem könnt ihr es gar nicht wieder fortschicken, weil es auch nicht durch die Haustür passt."

Das Wambo ist inzwischen dabei, den Inhalt des Papierkorbs zu verschlingen, wobei es genüsslich schmatzt.
 
Es fühlt sich rundum wohl in der Familie. Nur Mama und Papa leider nicht, sie werden von Tag zu Tag stiller. Am dritten Tag trägt Papa etwas auf dem Arm, als er nach Hause kommt. Das Etwas ist klein und schwarz und hat weiße Pfoten. Als er es Felix in den Arm legt, bellt es zaghaft.

"Das ist deiner, wenn du versprichst, das Wambo genauso schnell wieder wegzuträumen, wie du es her geträumt hast", sagt Papa.

Felix freut sich so sehr, dass er weinen muss. Schnell holt er das leere Blatt Papier und beugt er sich darüber. Jetzt nur nicht verzählen: zehn Tränen aus dem linken Auge, zehn aus dem rechten. Dann legt er es unter sein Kopfkissen. Am nächsten Morgen ist es geschafft. Er hat das Wambo auf das Bild zurückgeträumt. Das schönste Bild, das er je gemalt hat. Mama holt Hammer und Nagel und hängt es über sein Bett.

Pico hockt inzwischen auf dem Teppich und zerpflückt laut kläffend Papas Morgenzeitung. Aber Mama und Papa lachen nur darüber und sind nicht einmal böse.


Ute Keil   -    unveröffentlicht

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