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Hugo der Zylinder-Hase

Habt ihr euch schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie einem Hasen zu Mute ist, der aus dem Zylinderhut gezaubert wird? Wie er lebt? Was er denkt? Ob er glücklich ist oder nicht? Ich kenne so einen Hasen, der Tag für Tag aus dem Zylinder seines Zaubermeisters hervorgezaubert wird. Er hat zwei lange weiche Ohren, ein weißes Pummelschwänzchen und natürlich einen Hasenbart – vier Haare links, drei Haare rechts. Im Übrigen sieht er aus wie jeder andere Hase auch. Nur: Dieser Hase heißt Hugo, so heißen andere Hasen nicht. Den Namen hat ihm sein Zauberer gegeben.

Sein Zauberer heißt Alfred. Alfred, der große berühmte Zauberer! Alfred hat auch einen Bart, aber einen anderen als Hugo. Alfred hat einen langen, gezwirbelten Schurbart, den er jeden Morgen sorgfältig vor dem Spiegel zwirbelt, bis er so sitzt, wie es Alfred gefällt. Er reicht von der Oberlippe bis weit unter das Kinn. Es sieht aus, als hätte Alfred rechts und links ein großes schwarzes „S“ an der Oberlippe hängen. Diesen Bart müsst ihr euch gut merken, denn der kommt noch öfter in dieser Geschichte vor und ist ganz wichtig!

 Alfreds Umhang ist zitronengelb mit unzähligen kleinen blauen Sternen darauf. Wie oft hat Hugo schon versucht, sie zu zählen. Aber bei 450 oder 500 ist er meistens eingenickt oder hat sich irgendwo verzählt und musste wieder von vorn beginnen. Hugo hat überhaupt viel Zeit und viel Langeweile. Was kann ein Hase in einem Zylinderhut schon groß anfangen? Hugo wohnt nämlich in dem Zylinder. Es ist sehr eng darinnen, eng und ungemütlich. Sehr wohl fühlt sich Hugo hier nicht. Meistens klappt er den Deckel des Zylinders hoch, um wenigstens etwas von der Welt zu sehen. Sind jedoch Leute in der Nähe, muss Hugo in dem Zylinder verschwinden und den Deckel schließen. Niemand darf ihn sehen. Sein Zauberer kann sonst sehr böse werden, und das ist nicht gut für Hugo.

 Ganz anders ist es natürlich bei Zaubervorstellungen, denn da soll man Hugo ja sehen. Allerdings erst dann, wenn sein Meister ihn mit viel Hokuspokus aus dem Hut hervorzaubert.

Vorstellungen gibt Alfred der Zauberer zum Glück sehr viele. Manchmal auf einer Bühne, manchmal in einer Schule oder auf dem Jahrmarkt, aber manchmal auch einfach irgendwo im Freien, wenn sich ein paar Zuschauer finden, die ein paar Geldstücke für Alfreds Zauberkünste übrig haben.

 Alle bewundern Alfred, und Alfred liebt es sehr, bewundert zu werden. Auch Hugo liebt diese Vorstellungen, aber aus einem ganz anderen Grund. Dann nämlich ist der Augenblick gekommen, wo er den Zylinder für eine Weile verlassen kann.

 Wenn eine Vorstellung beginnt, geht alles sehr geheimnisvoll zu. Alfred öffnet langsam seinen schwarzen Zauberkoffer und entnimmt ihm einen goldenen Zauberstab. Den braucht er, um den Hasen Hugo aus dem Zylinder hervorzuzaubern. Der Zauberstab ist überhaupt sehr wichtig, denn Alfred kann natürlich noch mehr zaubern als nur einen Hasen aus dem Zylinder. Alfred ist wirklich ein richtiger großer Zauberer.

 Sind nun alle Zuschauer ringsherum still und gespannt, so wirft er den gelben Umhang mit den vielen Sternen schwungvoll nach hinten, nimmt behutsam den Zylinder vom Kopf und schwingt den goldenen Stab. Dabei guckt er sehr streng und murmelt geheimnisvolle Zaubersprüche. Jetzt ist Hugos großer Auftritt. Alfred zieht ihn unter dem tosenden Beifall der Zuschauer aus dem Hut und lässt ihn eine Weile frei herumspringen. Stets sind die Leute begeistert und klatschen lange und laut Beifall. Darüber sind beide glücklich: Alfred über den Beifall, und Hugo, weil er herumhoppeln und Löwenzahn naschen kann.

 Genauso geschah es Tag für Tag, auch heute. Bestimmt zum dreitausendsten oder viertausendsten Male zog Alfred Hugo aus dem Zylinder. Die Leute jubelten wie üblich, aber dann kam alles ganz anders. Ganz anders, als Zaubermeister Alfred es sich vorgestellt hatte. Er stand mitten auf einer grünen Wiese umringt von begeisterten Zuschauern und Hugo hoppelte bereits glücklich umher. Alfred musste sich immer wieder verneigen, weil die Leute nicht aufhören wollten zu klatschen.

 Und da geschieht es!

Während Hugo am Löwenzahn knabbert, kommt ihm blitzartig eine tolle Idee. So toll, dass Hugo sich wundert, warum er nicht schon viel früher darauf gekommen ist.

Wie oft hat er die Zaubersprüche seines Meisters mit angehört! Auswendig kann er sie, allesamt! Wort für Wort! Warum sollte nicht auch er zaubern können, genau wie Alfred? Alles was ihm dazu fehlt, ist der Zauberstab. Und den hält Alfred bei seinen tiefen Verbeugungen viel zu nachlässig in der Hand. Jawohl, er wird es wagen.

 So, als würde ihn nichts anderes interessieren als der Löwenzahn, nähert er sich Alfred und entreißt ihm mit einem Ruck den begehrten Zauberstab genau in dem Augenblick, als er mit seiner Verbeugung an der tiefsten Stelle ist. Und ehe Alfred hochkommt und begriffen hat, was soeben geschehen ist, springt Hugo bereits mit seiner Beute über die Wiese davon. Entsetzt starrt Alfred in seine leere Hand. Ohne Zauberstab ist selbst der große Zauberer Alfred machtlos. Er bekommt einen knallroten Kopf vor Wut. In aller Eile ergreift er seinen Koffer, stülpt sich den leeren Zylinderhut auf den Kopf und nimmt die Verfolgung auf. Die Leute lachen, weil das sehr lustig aussieht, und dieses Lachen tut Alfred besonders weh. Er rennt noch schneller.

„Warte, wenn ich dich erwische“, zischt er wütend.

Alfred holt seinen Hasen schnell ein, denn Hugo hat gar nicht die Absicht zu entwischen. Hugo will ausprobieren, wie gut er zaubern kann. Alfred kommt ihm gerade recht. Fast hat er ihn zu fassen, da schwingt Hugo den Stab, und ehe Alfred auch nur – halt – sagen kann, hat er ihn – bribbelbrabbel hokuspokus – in eine Maus verwandelt. In eine einfache kleine graue Feldmaus, nicht einmal in eine vornehme weiße.

 Da sitzt nun der große Zauberer Alfred als Mäuschen vor seinem Hasen und fiepst aufgeregt und kriegt kein Wort heraus. Eine wütende kleine graue Maus! Hugo aber ist sehr zufrieden. Er kann tatsächlich zaubern! Stolz kniet er sich zu Alfred hinunter und betrachtet sein Meisterwerk.

 Ein hübsches Mäuschen! Es ist ihm wirklich gut gelungen. Einen Fehler entdeckt Hugo allerdings : Die Maus hat gar keinen Mäusebart. Sie hat einen gezwirbelten Schnurrbart, genau so einen, wie Alfred ihn vorher trug. Eine Maus mit Zwirbelbart! Das sieht vielleicht lustig aus! Er ist so lang, dass Mäuschen Alfred fast darüber stolpert. Der Bart ist nicht mit verzaubert !

 Irgendwann hat Hugo sich genug über seinen Zauber gefreut. Jetzt fühlt er sich einsam und möchte seinen Meister zurückverwandeln. Doch so sehr er auch nachdenkt, der richtige Zauberspruch dafür will ihm einfach nicht einfallen. Ratlos blickt Hugo zur kleinen Maus, doch Alfred kann ihm nicht helfen. Der große Zauberer Alfred ist jetzt eine kleine graue Maus. Hugo kann die Augen verdrehen, solange er will, an die richtigen Zauberworte kann er sich nicht erinnern. So ein Pech!

 Leider wird das Pech noch größer, denn ausgerechnet jetzt streicht Kater Willi über die Wiese. Kater Willi ist immer hungrig. Er liebt Mäuse, besonders kleine graue. Und dort sitzt so eine, genau richtig für seinen Appetit. Auf leisen Pfoten schleicht er sich an. Zum Glück entdeckt ihn Hugo, noch ehe er zum Sprung ansetzt.

 Bloß das nicht! Nicht SEINE Maus. Er will doch seinen Zaubermeister behalten. Da kommt ihm ein rettender Gedanke. Wenn er schon nicht den richtigen Spruch weiß, dann eben einen anderen. Er kennt ja genug. Schnell hebt er den Zauberstab und murmelt einen Spruch – und schupp, ist Alfred in eine Moorrübe verwandelt. – Gerade rechtzeitig. Kater Willi macht ein recht dummes Gesicht, als er statt der Maus eine dicke rote Moorrübe zwischen den Krallen hält. Ganz klar hat er doch eben eine Maus gesehen, und nun ist sie spurlos verschwunden! Noch nie ist Kater Willi eine Maus entkommen. Wütend faucht er den Hasen an, der neben der Moorrübe hockt. Eine Moorrübe, die – oh Wunder, einen gezwirbelten Schnurrbart genau an der Stelle hat, wo normalerweise grünes Kraut sprießt. Hugo muss lachen, obgleich ihm gar nicht danach zu Mute ist. Schnurbärte lassen sich anscheinend nicht verzaubern. Egal, Hauptsache er hat Alfred gerettet, wenn auch nur als Gemüse.

 Leider bleibt Hugo kaum Zeit, sich über die gelungene Rettung zu freuen, denn ein anderes hungriges Wesen naht. Es ist eine Kuh, die neugierig heran trottet. So eine leckere Moorrübe mitten auf ihrer Wiese! Eine unverhoffte Abwechslung bei dem vielen Gras und Klee!

Hugo erkennt die Gefahr sofort. Wieder schwingt er den Stab und murmelt eilig einen Spruch. Und wieder schafft er es, obgleich er diesmal vor lauter Aufregung sogar stottert. Die Moorrübe ist verschwunden. Dafür sitzt an der gleichen Stelle eine pummelige Ente.

 Verdutzt glotzt die Kuh das Entchen an, das genau dort quakt und wild mit den Flügeln flattert, wo eben die schöne Moorrübe lag. MUH, sagt die Kuh enttäuscht und versteht die Welt nicht mehr, denn außer der seltsamen Ente und dem Hasen ist weit und breit nichts zu entdecken als Gras und Klee. Aber die Kuh mag keinen Hasen und auch keine Ente – und schon gar keine mit einem langen gezwirbelten Schnurbart. Enttäuscht zockelt sie wieder davon.

Puh, auch das ist noch einmal gut gegangen. Hugo schüttelt erleichtert ein paar Schweißperlen von seinen Hasenohren. Tatsächlich, auch die Ente hat den Zwirbelbart. Eine Ente mit Zwirbelbart sieht witzig aus, doch Hugo lacht nicht. Hugo will endlich seinen Zauberer zurück haben. Wenn ihm nur der Zauberspruch einfiele. Wie lautet bloß der verflixte Spruch??

 Und kaum ist es zu glauben, mit lautem Gebrüll kündigt sich das nächste Unheil an. Ängstlich kriecht das Entchen ganz nah an Hugo heran. Ein fürchterlicher Löwe taucht unter den Bäumen auf. Er schüttelt die wilde gelbe Mähne und bleckt die Zähne. Hugo springt entsetzt auf. Wo in aller Welt mag ausgerechnet hier ein Löwe herkommen? Aus einem Wanderzirkus? Aus einem Zoo? Hugo bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Löwe reißt hungrig den Rachen auf. Zwei so zarte Leckerbissen auf einmal, eine Ente und ein Hase! Hugos Knie schlottern vor Angst. Er will nicht gefressen werden und die Ente auch nicht. Laut schnatternd schlägt sie mit den Flügeln.

 Mit einer Pfote hält sich Hugo die Augen zu. Er mag gar nicht hinsehen. Mit der anderen umklammert er den Zauberstab und fuchtelt damit wild herum. „Bribbel Brabbel Brubbel Brell! Werd zur Blume ganz ganz schnell!”

 Kaum hat er ausgemurmelt, wird es um Hugo herum ganz still, unheimlich still. Als eine Weile nichts geschieht, wagt er, seine Augen wieder zu öffnen. Der fürchterliche Löwe ist weg, aber wo ist die Ente Alfred? Auch die ist verschwunden. Stattdessen wachsen direkt neben Hugo zwei wunderschöne Blumen, die dort vorher nicht gestanden haben. Eine große gelbe mit wirren Blütenblättern und eine kleine bunte aus deren Mitte ein langer schwarzer Zwirbelbart heraushängt. Der Zauberspruch hat sogar doppelt gewirkt. Und er hat wirklich im letzten Moment gezaubert, denn die langen Blätter der gelben Blume sind gierig nach der kleinen bunten ausgestreckt. Nun ist also auch Alfred eine Blume. Hugo erkennt ihn sofort. Es ist wirklich praktisch, dass sich Schnurbärte nicht mit verzaubern lassen.

 Da die Gefahr erst einmal vorüber ist, setzt er sich erschöpft auf Alfred Zylinderhut, der immer noch dort liegt, wo er Alfred vom Kopf gekullert ist. Jetzt kann Hugo in aller Ruhe über den Zauberspruch nachdenken. Er blickt zum Himmel empor und verdreht vor lauter Nachdenken die Augen. Ab und zu wackeln seine langen Ohren dabei hin und her. Nachdenken ist eine sehr schwierige Angelegenheit für einen Hasen, der immer nur im engen Zylinderhut gehaust hat.

Auf einmal aber springt er auf, so hastig, dass der Hut zur Seite kullert. Der Spruch! Endlich! Er ist ihm wieder eingefallen! Hugo streckt und reckt sich, hebt den Zauberstab und murmelt den langen, schwierigen Zauberspruch. Und richtig, kaum sind die letzten Worte verklungen, da steht der Zauberer auf der Wiese, mit dem weiten gelben Umhang und den unzähligen blauen Sternen darauf. Den goldenen Zauberstab hält er in der erhobenen Hand. - Aber Moment mal!

 Irgendetwas stimmt hier nicht. Der Zauberer wieder ist da. Trotzdem steht die kleine bunte Blume mit dem gezwirbelten Schnurbart immer noch vor ihm auf der Wiese. Was bedeutet das nun schon wieder? Hugo ist ein wenig schwindlig im Kopf. Misstrauisch blickt er sich um, ohne jedoch etwas Auffälliges zu bemerken.
Erst als er an sich herabsieht, stößt er einen Schrei aus vor Überraschung. Er erblickt ein Paar Beine und Arme mit dem goldenen Zauberstab in der Hand, und um seine Schultern schlingt sich ein gelber Umhang mit vielen Sternchen.

 Er selber ist zum Zauberer geworden! Sein Spruch hat nicht Alfred, sondern ihn, Hugo, in den Zauberer verwandelt. Der alte Zaubermeister Alfred ist noch immer eine kleine bunte Blume auf der Wiese. Hugo braucht eine ganze Weile bis er das richtig begriffen hat.

 Doch dann denkt er schon wieder nach. So viel wie heute hat er noch nie nachgedacht. Und je länger er nachdenkt, umso besser gefällt ihm, was geschehen ist. Was für ein herrlicher Zauberspruch, der nicht Alfred, sondern ihn in den Zauberer verwandelt hat. Besser hätte es gar nicht kommen können. Aber was ist mit seinem Bart? Schnell greift er hin. Vier Haare links, drei Haare rechts, sein alter Hasenbart! Doch das stört Hugo wenig. Wer sagt denn, dass Zauberer unbedingt einen Zwirbelbart haben müssen? Von jetzt an gibt es auch einen mit Hasenbart.

 Jetzt ist er also der Zauberer, Hugo der große Zauberer mit dem Hasenbart. Klingt gut. Als Zauberer fällt ihm nun auch das Zaubern nicht mehr schwer. Mit seinem alten Zaubermeister hat er schon etwas vor, da braucht Hugo nicht mehr lange nachzudenken. Listig lächelt er die kleine bunte Blume an. Dann fasst er sie fest am Stängel, murmelt einen Zauberspruch ... und schon hält er statt der Blume einen kräftigen Hasen an den Ohren. Einen Hasen, der genauso aussieht wie er, Hugo, noch vor wenigen Minuten ausgesehen hat. Bis auf den Bart natürlich! Dieser Hase hat einen gezwirbelten Schnurrbart.
Das ist jetzt sein Hase, der Hase Alfred. Ein schöner Hase, und ein ganz besonderer Hase, findet Hugo.

 Er steckt Alfred in seinen Zylinderhut. Alfred zappelt und wehrt sich zwar, aber er kann es nicht ändern. Dann setzt Hugo den Zylinderhut auf. Er ist zufrieden wie nie zuvor in seinem Hasenleben.

 Noch einmal bückt er ich, pflückt die große Löwenblume und steckt sie ins Knopfloch. Sie passt sehr gut zu dem gelben Umhang mit den vielen blauen Sternen. Vielleicht wird es ja Alfred irgendwann gelingen, all die Sterne zu zählen.

 Dann ergreift Hugo Koffer und Zauberstab seines alten Meisters, streicht sich zufrieden die vier Barthaare links und drei Barthaare rechts, und nimmt sich vor, auf seinen Hasen sehr gut aufzupassen. Ihr könnt euch sicher denken, warum !

 Der Hase Alfred sieht übrigens nicht sehr glücklich aus, nicht wahr? Und sollte euch eines Tages ein Zauberer begegnen mit vier Schnurbarthaaren links und drei Schnurbarthaaren rechts, dann bitte bestellt ihm schöne Grüße von mir.

 (Unveröffentlicht)      Ute Keil